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Der Bettelstudent 2009

Studierende geben in Lübeck "Der Bettelstudent"

Die Musikhochschule Lübeck präsentierte Karl Millöckers Operette

© Horst Schinzel

31.01.2009

Folklore und der polnische Freiheitskampf standen im Mittelpunkt einer Diplom-Insznierung der Lübecker Musikhochschule. Überaus begabter Sängernachwuchs stellte sich vor.

 

Wie bei den Schwester-Instituten in Deutschland ist es auch für der Lübecker Musikhochschule Brauch, den Studierenden ein- oder zweimal im Jahr Gelegenheit zu geben, das Erlernte öffentlich vorzustellen. Sinnvollerweise wird das mit den Diplom-Prüfungen verbunden. Dann überdeckt das Lampenfieber die Prüfungsangst. In diesen Januar-Tagen 2009 hatte sich die Musikhochschule an der Lübecker Obertrave Karl Millöckers Operette „Der Bettelstudent“ angenommen. Weil so viele angehende Künstler zur Prüfung anstanden, waren einige Rollen bis zu vierfach besetzt.

Inszenierung der Operette „Der Bettelstudent“ von Stephanie Koch

In der Inszenierung von Stephanie Koch – Lehrbeauftragte für das Fach „Operndarstellung“ im Hause – liegt die Betonung auf der Folklore und auf dem polnischen Freiheitskampf. Damit macht die Regisseurin das Sujet des Musikwerkes aktuell. Für die Massenszenen hatte sich die Musikhochschule sogar vom Großen Theater in Posen Kostüme ausgeliehen. Da konnte die Mazurka in den Originaltrachten Mazowiens – einer Landschaft, die an Groß-Polen / Wielskopolska anschließend bis zur Hauptstadt erstreckt – getanzt werden.

Polens Freiheitskampf als zentraler Akzent

Ein Umfeld, in denen der polnische Adel mit List und Charme die ungeliebten Sachsen übertölpeln und dem Lothringer-Herzog Stanislaus Leszinsky zur Macht verhelfen können. In der von uns gesehenen zweiten Vorstellung Da Pan – reizvoll sein polnischer Akzent – als armer Student Symon Rymanowicz und Camille Butcher als ebenso attraktive wie koloratursichere Komtesse Laura. Nach etwas müdem Beginn im ersten Bild sangen und spielten sich insbesondere diese beiden jungen Künstler in die Herzen der überwiegend jungen Zuschauer.

Gi-Hoon Cho steigerte sich in der Rolle des Obersten Ollendorf und überzeugte bald ebenso wie der in Bremen studierende Sebastian Buko in der Rolle des Jan Janicki. Imke Friedrichsdorf gab herrlich überspannt die Gräfin Nowalska, und Luise Hansen war überaus liebreizend ihre zweite Tochter Laura.

Witz und Ironie kommen bei „Der Bettelstudent“ auch nicht zu kurz

Eine köstliche Studie als trinkfester Gefängnisaufseher Enterich gab Erik Bönisch. Zusammen mit seine n Hilfsaufsehern und Gefangenen brachte er mit viel Witz und Ironie die Handlung voran. Andere Studierende schlugen sich wacker in ihren Rollen als sächsische Offiziere und polnische Magnaten. Das bunte Treiben des überaus kopfstarken Chores war von der Lübecker „Fachfrau“ Ulla Benninghoven choreografiert worden. Die herrlichen Kostüme – soweit nicht ausgeliehen – waren nach den Entwürfen von Roswitha Thiel von der Ausbildungswerkstatt „BALI“ geschneidert worden. Die Gestaltung der doch recht kleinen Bühne vor allem mit Fahnen verantwortete Karol Cybulla.

Nur Klavierbegleitung bei der Aufführung von „Der Bettelstudent“

Das Ganze war von Professor Norbert Strolz einstudiert worden, der sich mit dem Mangel im Wortsinne herumschlagen musste: Die Hochschule konnte ihm aus nicht ganz nachzuvollziehenden Gründen das Hochschulorchester diesmal nicht zur Verfügung stellen. Das hat sicher auch die Chorleitung durch Leslie Suganandrajah erschwert. Begleitet wurde die Aufführung an zwei Flügeln durch die Studierenden Mona Rössler und Elisabeth Streichert, während der Zweite Kapellmeisters des Lübecker Theaters Ludwig Pflanz dirigierte.

Das Publikum war begeistert und dankte mit lang anhaltendem Beifall



Der Bettelstudent
Operette von Carl Millöcker in der Musikhochschule Lübeck 

Du und Operette?? Da kommt Verwunderung im Freundeskreis auf. ?Ja gut, wenn du diese Gassenhauer magst, die man dann nicht wieder los wird!? Da habe ich selbst auch noch so meine Zweifel, wohl aber Lust auf eine weitere Aufführung in der Musikhochschule im Rahmen des Opernprojektes im Wintersemester, war ich doch genau vor einem Jahr bei ?Den Lustigen Weibern von Windsor? sehr angetan von der Qualität der Darbietung und besonders der Spielfreude aller Mitwirkenden, die sich so unmittelbar auf das Publikum übertrug. Auch die heutige letzte der insgesamt vier Vorstellungen mit wechselnder Besetzung zwecks Prüfungsabsolvierung ist natürlich ausgebucht. Am Eingang der Hochschule verharren ein paar Unermüdliche in der Hoffnung, doch noch eine Karte zu ergattern, die vielleicht nicht abgeholt wird. Eine der Erfolgreichen in diesem Unterfangen ist die Dame neben mir im Saal, die mir vor Beginn verkündet, Operette sei eigentlich nicht ihre Welt, aber warum solle man das nicht ?mal mitnehmen? und auf diese Weise kennenlernen, was einem eben nicht vertraut ist. Diese Einstellung verbindet uns. Schon geht der Klamauk los, dessen Uraufführung im Jahre 1882 Millöckers Weltruhm begründete. Widmen wir uns also gut zwei Stunden anspruchsloser Heiterkeit; das geht richtig gut und macht Spaß, wenn man sich nur darauf einlässt. Und das tut nicht nur die Dame neben mir, die fast vom ersten Moment an so richtig mitgeht und schon mal kleine Ausrufe freudigen Erstaunens von sich gibt, sondern das gesamte Publikum bewegt sich sogleich auf dieser Schiene, inklusive derjenigen KommilitonInnen, die heute nicht dran sind und ihre Mitstreitenden auf der Bühne von den Rängen aus immer als Erste mit aufmunterndem Zwischenapplaus und herzlichen Lachern bedenken. Die allgemeine Stimmung könnte also nicht besser sein. Der geschichtliche Hintergrund des Bühnengeschehens: brisante politische Verhältnisse, aber eigentlich nicht von Belang, da austauschbar. Wir befinden uns in Krakau, von den Sachsen besetzt, zu Beginn des 18. Jahrhunderts und dort in einem Kerker, wo es sehr fröhlich zugeht. Wie denn sonst!? Die weitere Handlung: mit Verlaub, ziemlich meschugge, aber dadurch fast wie im richtigen Leben mit seinen Irrungen und Wirrungen, nur halt nicht so ernst. Die Charaktere: stark typisiert und überzeichnet und fast von jeder Sorte einer, und das ist wohl der springende Punkt. Vermutlich eignet sich nichts besser für Studierende, die Bühnenerfahrung sammeln müssen, als sich eben solchen Operetten-Rollen zu widmen und sich in deren Überzogenheit zu erproben, sie zwar ernst zu nehmen, aber dennoch mit Spaß am Spiel zu verkörpern, wobei die Gefahr besteht, von gewollter Albernheit ins Lächerliche abzudriften. Erstaunlich und bewundernswert, wie gut den meisten Darstellenden diese Gratwanderung gelingt. Erik Bönisch in der Rolle des stets betrunkenen, stark sächselnden Gefängniswärters, dessen clowneske Partien sich durch das gesamte Stück ziehen und der sich gleich zu Beginn allein schon aufgrund der sprachlichen Parodien in die Herzen der Zuschauenden spielt, sei da beispielhaft hervorgehoben. Was leisten nicht erst diejenigen, die zusätzlich zur Gesangspartitur noch das Handicap der (hoch?)deutschen Sprache als Fremdsprache zu bewältigen haben. Chapeau! Aber es gibt auch solche, die wunderschön anzuschauen sind, bereits eine gute Bühnenpräsenz beweisen, deren Stimmen jedoch (noch?) nicht tragfähig genug sind, um in so einem Raum zu bestehen; andere, die gut verständlich sogar aus dem hinteren Bühnenbereich heraus tönen, wo aber das schauspielerische Talent nicht so recht durchscheinen will; wieder andere wirken geradezu selbstvergessen und tummeln sich mit scheinbar größter Selbstverständlichkeit auf der Bühne, als hätten sie nie etwas anderes getan. Ihnen nimmt man ihre Figuren auf Anhieb ab (insbesondere, wenn die eigenen körperlichen schon mal denen der Rollen adäquat sind). Man muss sich zwischendurch immer wieder in Erinnerung rufen, dass es ja noch keine Profis sind, die hier agieren, sondern Studierende von Erstsemestern bis hin zu PrüfungskandidatInnen. Entwicklungsmöglichkeiten sind da noch gegeben, aber hier und da blitzt doch tatsächlich schon der Idealfall durch, dass jemand mit Leib und Seele bei der Sache und auch genügend talentiert ist, um vielleicht einmal Karriere zu machen.
Wer nun glaubt, eine studentische Bettelaufführung ansehen zu müssen, wird eines sehr viel Besseren belehrt. Insbesondere, wenn die Bühne mit 40 bis 50 Personen bevölkert ist, wenn getanzt wird, wenn ein großes geordnetes Durcheinander ausbricht. Ein dickes Lob gebührt hier der gelungenen Choreographie (Ulla Benninghoven); der Platz ist begrenzt und wird hervorragend ausgenutzt. Welch großartige, farbenfrohe Kostümierung (Roswitha Thiel) bei zweckmäßig einfachem Bühnenbild, welch stolze und auch im kleinen Detail noch stimmige Ausstaffierung bis hin zu den einheitlich rot lackierten Fußnägeln der barfüßigen Tänzerinnen! Herrlich! Da halfen viele Theater mit Leihgaben aus: Kiel, Eutin, Meißen, Posen; die Schneiderei BALI hatte reichlich zu tun. Das alles in kürzester Zeit: Weniger als ein Semester steht für die gesamte Produktion eines solchen Projektes zur Verfügung. Das ist eine Meisterleistung aller Lehrenden, Lernenden, Helfenden zusammen, unter der Regie von Stephanie Koch, die gleichzeitig als Souffleuse fungiert, der musikalischen Leitung von Ludwig Pflanz und der pianistischen Begleitung an zwei Flügeln durch Mona Rössler und Elisabeth Streichert. Auch diese vier Personen vor der Bühne im Blick zu haben, ist herzerfrischend. Eine beschwingte Leichtigkeit geht von allen aus, man wie frau ist absolut präsent und stets auf dem Quivive, aber dennoch bleibt Raum dafür, sich über kleine Amüsements mimisch auszutauschen, hier wird nichts abgespult, sondern die aktuelle Aufführung schwungvoll und lebendig mitgestaltet.

Es gibt auch eine Pause. Da begegne ich einer Person, welcher ich sehr zugetan bin, fühle mich aber kaum wahrgenommen, wenn nicht gar unerwünscht, also halte ich mich abwartend im Hintergrund auf. Ach, ich hätt’… sie so gern … auf die Schul … ter geküsst …, doch sie gab … mir dafür … einen Schlag ins Gesicht … Ist uns denn noch ein Happy-End vergönnt? Selbstverständlich. Wir sind in einer Operette! Mit Pauken und Trompeten (falls man das bei einer Piano-Begleitung sagen kann) geht alles ganz furios nach dem Aufstand der Polen gegen die Sachsen im Großen wie im Kleinen in Friede, Freude, Eierkuchen zu Ende. Rote und weiße Luftballons schweben auf die Zuschauenden hernieder, die sich mit lang anhaltendem Applaus für dieses kurzweilige Vergnügen bedanken. Beschwingt wünscht mir meine Platznachbarin noch einen schönen Abend. Es könnte einer werden, wenn sich nicht die soeben erwähnte Begebenheit aus der Pause wahrlich und wahrhaftig noch ein zweites Mal wiederholen würde … Schwamm drüber … Hinter der Bühne klingt es mittlerweile nach purer Entfesselung nicht nur der dem Kerker Entronnenen.

Daheim bricht am nächsten Tag meine Computeranlage komplett zusammen. Nur über Umwege komme ich an meine E-Mail, und was finde ich da? Eine Nachricht oben genannter Person: „Wo warst du gestern Abend? Ich habe noch so lange auf dich gewartet ...“ Mir ist manches schon passiert, aber so etwas noch nicht, aber so etwas noch nicht ...

Unser Lübeck | Gerda Vorkamp | 4. Februar 2009