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Zar und Zimmermann 2011
Zar und Zimmermann – Komische Oper von Albert Lortzing




Wer hätte gedacht, dass Lortzing nach dem Auftakt, der die anstrengenden Werftarbeiten hier in Gestalt von acht wassereimerbewehrten Tänzerinnen (Choreographie Ulla Benninghoven) recht anmutig daherkommen lässt, am Freitag, 24. Juni 2011, mit Mozart beginnt? Im Jahr der Plagiate macht sich das natürlich gut, zumal es der geneigten Zuhörerschaft überlassen bleibt, den wahren Urheber aller musikalischen Zitate zu ermitteln, mit denen diese Aufführung im Folgenden noch aufwarten wird.

Das ist im Falle Mozarts ja noch ein Leichtes. Zimmermann Peter (Raphael Wittmer, Tenor) ist verliebt in Marie (Nadja Klitzke, Sopran, „Die Eifersucht ist eine Plage“) und drückt seine Empfindungen in der Zauberflöten-Arie Dies Bildnis ist bezaubernd schön aus – in voller Länge gesungen. Das Publikum reagiert eher amüsiert als irritiert und lässt sich sogleich vom Wohlklang des Gesangs einhüllen. Aber: Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht … – Woraus war das denn noch gleich? Und: Gern hab ich die Frau’n geküsst …Ja, das Schreiben und das Lesen ist nie mein Fach gewesen. Zigeunerbaron, oder? Kennen wir alles, sei es nun Strauss, Lehár (Paganini) oder Kálmán (Csárdásfürstin), aber als ob nicht dieser Lortzing allein schon genug Melodien enthielte, „mit denen wir ja quasi aufgewachsen sind“, wie einige meinen, und so herrscht ab und an eine klitzekleine Verwirrung, was nun tatsächlich hierher gehört und was nicht, insbesondere da das eigentliche Singspiel unter Wahrung der „Highlights“ um mehr als eine Stunde gestrafft wurde (dem Werk tut’s keinen Abbruch). Gerade das macht jedoch die Besonderheit dieser Inszenierung der Jungen Oper Lübeck unter der Regie von Michael P. Schulz aus: Sie lebt von liebenswerten Einfällen, die zwischendurch immer wieder erheitern, aber trotz Fülle glücklicherweise auch nicht überzogen werden. So geht beispielsweise General Lefort (Zauberer Bert Rex) vorm eigentlichen Beginn und in der Pause mit einem Bauchladen durch die Gegend, um den BesucherInnen Fächer oder einen überdimensionierten Zollstock anzupreisen, bevor er glöckchenklingelnd auf die Plätze ruft und dem Dirigenten erst einmal einen Taktstock oder Noten – von Lortzing – verkauft.

Mit Abstand der beste Einfall war aber wohl, die Aufführung in Schuppen 6 stattfinden zu lassen. Da braucht es nur noch ein Minimum an zusätzlicher Dekoration, um das Publikum ins Ambiente einer holländischen Schiffsbauwerft in Saardam zu versetzen. Bei geöffneten Schiebetoren, durch die das tatsächlich in den Eimern vorhandene Wasser mit großem Schwapp hinausgegossen wird (Hat jemand Passanten am Vorbeigehen gehindert?), mit Blick auf die Trave und einen fantastischen Sommerabendhimmel findet das Geschehen auf dreistufigem, rundherum begeh- und bespielbarem Podest statt, das lediglich mit ein wenig Holzwerkzeug, halbgeflochtenen Körben und Netzwerk versehen ist. Auf Segeltuch projizierte Bilder von Lübeck (Wer sagt, dass es Holland sein muss?) sorgen, angenehm dezent allerdings, für einen wechselnden Hintergrund. Das war’s auch schon, und mehr braucht’s auch nicht. Die Kostümierung, nett und adrett und bis hin zum beliebten und prima umgesetzten Holzschuhtanz durchweg hübsch anzuschauen, bleibt den Rollen entsprechend ebenfalls bescheiden und weiß entscheidende Akzente, farblich oder durch einzelne Accessoires, gekonnt zu setzen. Allein das aufgeplusterte Habit von Monsieur Marquis de Chateauneuf hebt sich von allen ab und unterstreicht die Manieriertheit seines Trägers (glänzend in Szene gesetzt von Marian Henze, Tenor), ebenso wie die übertriebene Perücke des Bürgermeisters van Bett (Rüdiger Sachs, Bass-Bariton, in Junger Oper also auch „junger Opa“, pardon, aber in seiner drolligen Komik goldrichtig in dieser Rolle!) dessen Lächerlichkeit unterstreicht.


Rechterhand platziert findet sich das kleine Orchester, bestehend aus circa 15 Köpfen (viel mehr ist von den Musizierenden nicht zu sehen), und muss sich mit mauscheligen Lichtverhältnissen und einer eher matten, jedenfalls nicht besonders tragfähigen Akustik zurechtfinden. Entscheidend zum Gelingen trägt das äußerst engagierte Dirigat von Carsten Bowien bei, der selbst den Klavierpart übernimmt und mit einer bemerkenswerten Mischung aus zupackender, gebündelter Energie bei geschmeidigen und doch überaus präzisen Bewegungen mit vollem Körpereinsatz agiert und das musikalische Geschehen im Griff hat und bisweilen geschickt im Zaum hält.

Erfreulicherweise findet die Premiere vor ausverkauften Reihen statt, denn die Junge Oper Lübeck ist schon längst kein Geheimtipp mehr. Dennoch lohnt sich ein Blick auf die ausführliche Homepage (
www.caruso.de/cms/jungeoper). Der gemeinnützige Verein, der in den Händen von Prof. Anke Eggers und Prof. Günter Binge liegt – Letzterer ist hier auch als Kantor mit der weltberühmten Singstunden-Parodie zu erleben (Heil sei dem Tag) –, ist knapp 20 Jahre alt, muss also etwa zu der Zeit gegründet worden sein, als der schmucke Jüngling zur Welt kam, der sich schon gleich zu Beginn werkelnd und apfelessend an der Seite von Zimmermann Peter betätigt. Ja, ist es denn die Möglichkeit, dass dieser junge Mann tatsächlich die Hauptrolle des Zaren Peter übernimmt? Wahrhaftig! Aber nicht nur, dass er sich mit größter Selbstverständlichkeit und Glaubwürdigkeit auf der Bühne bewegt, als hätte er nie etwas anderes im Leben getan, nein, Vincenzo Neri singt sich auch augenblicklich mit seinem sonoren, klaren wie warmen und flexiblen Bariton und einer Stimmwucht in die Herzen der fasziniert Lauschenden, dass es eine wahre Wonne ist (Einst spielt’ ich mit Zepter, mit Krone und Stern; O selig, ein Kind noch zu sein) und er zum Star des Abends avanciert (der deshalb auch beim Schlusston noch gut ausgeleuchtet sein sollte …). Er steht seinen schon erfahreneren jungen SängerInnen in nichts nach. Auch diese wirken in ihren Rollen, die sie mit großer Natürlichkeit verkörpern, mehr als überzeugend und lassen, was ihre gesangliche Leistung angeht, allesamt nichts zu wünschen übrig. Leider ist der Text bei schnelleren Passagen selbst in der ersten Reihe oft nicht zu verstehen, was zum Teil aber wohl der schwierigen Akustik geschuldet sein mag.

In diesem Zusammenhang seien last not least die gelungenen Darbietungen der Fackenburger Liedertafel (Leitung ebenfalls M. P. Schulz) erwähnt, die mit Ute Weigand als Meisterin Browe die Partien des Volkes, der Bürgerinnen und Bürger von Saardam, übernimmt. Da zeigt sich doch, dass auch ein Chor mit etwas höherem Durchschnittsalter durchaus in der Lage sein kann, sichere und präzise Einsätze, sauberen Gesang und schauspielerisches Geschehen zu verbinden und mit großer Bühnenpräsenz und Freude an der Sache dabei zu sein. Manch Lübecker Kirchenchor kann sich da noch eine Scheibe abschneiden.

Das Zusammenwirken aller Beteiligten gelingt auch bei voller Bühne auf relativ kleinem Raum ohne Fehl und Tadel, sodass dem Publikum hier und heute ein rundherum äußerst vergnüglicher Abend beschert wird, der, insbesondere was die Leistung der vier jungen Hauptakteure angeht, dazu noch von sehr hohem Niveau zeugt. Der kräftige und lang anhaltende Applaus wird, und das nicht nur am Schluss, von Bravo- und Hoch-Rufen begleitet. Der Mozart-Verehrer Lortzing, der sich oft mit zweitrangigen Musikern herumärgern musste, als auch Mozart mit seinem Spaß an Späßchen aller Art hätten bestimmt ihre Freude an dieser Inszenierung gehabt und wären vielleicht dankbar gewesen, ein Ensemble wie das der Jungen Oper Lübeck zur Verfügung zu haben. Dessen nächstes Projekt darf bereits jetzt mit Spannung erwartet werden.


Unser Lübeck | Gerda Vorkamp | 

 
4. Juli 2011